Der Prozess der Textüberlieferung

Die Abschreibtradition

Erst seit etwa 500 Jahren (mit der Erfindung des Buchdruckes) ist man in der Lage, Bücher in erheblichen Stückzahlen herzustellen. Und was war vorher? Vorher musste jeder Text, jedes biblische Buch von Hand abgeschrieben werden.

Das hatte erstens zur Folge, dass eine so hergestellte Schrift kaum bezahlbar war und zweitens war dadurch auch die Menge der existierenden Schriften sehr begrenzt. Man machte keine Abschriften ohne konkrete Verwendung.

  1. Das hebräische Alte Testament

Wer schon einmal Texte abgeschrieben hat, merkt, wie schnell man Worte tauscht, ein Wort vergisst oder Zahlen verwechselt. Weil das den jüdischen Gelehrten auch schon so ging, haben sie für das Abschreiben des hebräischen Textes ein “hochsicheres” Verfahren entwickelt, die Fehler so gut wie ausschließen konnten.

Diese Regeln waren zum kleineren Teil kultischer Natur (z.B. kamen nur die Häute reiner Tiere in Frage, die mit Sehnen reiner Tiere zusammengeheftet wurden), zum größeren Teil aber waren es praktische Forderungen an den Kopisten, wie etwa:

  • Die neue Rolle muss erst liniert werden und dann darf geschrieben werden.
  • Wenn drei Worte ohne Linie geschrieben werden, ist die ganze Kopie wertlos.
  • Man darf nur von einer authentischen Vorlage abschreiben.
  • Kein Wort oder Buchstabe, nicht einmal ein Jota darf aus dem Gedächtnis aufgeschrieben werden, also ohne, dass der Schreiber den vor ihm liegenden Codex betrachtet hat.
  • Zwischen jedem Buchstaben muss ein haarbreiter Abstand eingehalten werden usw.

Später, in der masoretischen (Masora = Überlieferung) Periode (ab 500 n.Chr) kamen noch verschiedene Zählverfahren dazu, mit denen man die Exaktheit der Kopien zu garantieren versuchte. So wurde z.B. ausgezählt, wie oft jeder Buchstabe des hebräischen Alphabets in einem biblischen Buch vorkommt. Diese Zählungen wurden bei den Kopien als Kontrolle vorgenommen.

Oder man ging so vor: Der mittlere Buchstabe des Pentateuch oder der mittlere Buchstabe der ganzen hebräischen Bibel waren bekannt. Wurde eine neue Abschrift nach diesem Verfahren durchgezählt und der bewusste Buchstabe war nicht in der Mitte, dann wusste man, dass sich irgendwo ein Fehler eingeschlichen hatte.

Wenn gegen diese Regeln verstoßen wurde, mussten die Rollen vergraben oder verbrannt werden. Im günstigsten Fall landeten diese mangelhaften Exemplare in Schulen als Lesebücher.

Wurden dagegen die Regeln eingehalten, dann hatte die neue Abschrift die gleiche Autorität wie die Vorlage, ja sie wurde als wertvoller - weil eben unbeschädigt - angesehen als die, von der man abschrieb. Deshalb hatte man wenig Hemmung, eine alte, verbrauchte Abschrift in der Abstellkammer einer Synagoge verschwinden zu lassen oder auch zu begraben. Jedenfalls hütete man alte Exemplare nicht besonders intensiv, so dass - zusammen mit der periodischen Verfolgung der Juden in fast allen Verbreitungsgebieten - die Funde alter hebräischer Handschriften eher selten sind.

  1. Das griechischen Neue Testament bzw. die griechische Bibel

Auch die christliche Lehre ist von einem Buch abhängig, in dem Gottes Reden niedergeschrieben ist. Was kann man zur Überlieferung des Neuen Testaments sagen?

Auch hier kann man von der Bemühung sprechen, die Texte ohne Veränderung weiterzugeben, auch wenn die Akribie der jüdischen Textbehandlung nicht erreicht wird. Wenn man das als Mangel verstehen wollte, dann wird er durch drei Faktoren mehr als ausgeglichen:

  • Die ungeheure Zahl der neutestamentlichen Handschriftenfunde
  • Die zeitliche Nähe der Handschriften zur Entstehungszeit
  • Die Schriften der alten Kirchenväter enthalten viele Zitate des Neuen Testamentes, so dass man allein aus diesen Texten fast das gesamte Neue Testament rekonstruieren könnte. (Allein in den bekannten Schriften von Irenäus, Justinus Martyrus, Klemens von Alexandrien, Cyprian, Tertullian, Hippolyth und Origenes [alle vor dem 4.Jh n.Chr] finden sich 30.000 - 40.000 neutestamentliche Zitate!)

Die Handschriftenfunde

Wir leben am Beginn des 3. Jahrtausends, die Schriften des NT sind alle in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Christus entstanden - sie sind also alle älter als 1900 Jahre. Die Schriften des AT sind noch älter.

Nun ist es verständlich, dass einer Bibelabschrift umso näher am Original (und deshalb umso echter ist) je älter sie ist. Man kann sich gut vorstellen, dass in einer Zeit, in der die Kritik an der Bibel zunahm, auch das Interesse wuchs, möglichst alte Bibelhandschriften zu finden, um auf diese Weise einen Beleg für die Echtheit des Wortes Gottes zu finden.

Es macht Sinn, auch bei diesem Punkt wieder zwischen Altem und Neuem Testament zu unterscheiden.

  1. Das hebräische Alte Testament

Aus den oben genannten Gründen sah es mit den Funden lange Zeit nicht gut aus. Die ältesten Texte stammten aus dem 9. Jahrhundert nach Christus. Das heißt, dass diese Schriften auch von den späteren Teilen des AT noch 1500 Jahre entfernt sind, eine außerordentlich lange Zeit. Allerdings gilt dieser Text, der aus der Arbeit der Masoreten hervorging, als außerordentlich genauer Text, der bis heute die Grundlage der hebräischen Bibel ist.


1947 war für die Gilde der Handschriftenforscher ein überaus wichtiges Jahr. Es begann alles ganz dörflich und nett. Der Hirtenjunge Muhammad adh-Dhib suchte im Bergland westlich des Toten Meeres nach einer entlaufenen Ziege. Eine merkwürdige Öffnung in einer Bergwand lies ihm tun, was die meisten Jungs wohl auch getan hätten: Er warf Steine durch das Loch. Was allerdings verwunderlich war: Er hörte aus dem Loch des Geräusch zerbrechenden Tongeschirrs. Das war einer der Krüge, in denen die Handschriften von Qumran aufbewahrt wurden. Spätere Forschungen brachten Funde in zehn weiteren Höhlen. Diese große Menge an Manuskripten - wahrscheinlich die Schätze einer Bibliothek der Essener - hatten in den trockenen Höhlen eine Zeit von fast 2000 Jahren ohne erheblichen Schaden überstanden. Als wertvollster Fund gilt eine komplette hebräische Jesaja-Rolle aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Der Text ist also gut 1000 Jahre älter als der masoretische Text und man ist damit bis auf wenige Jahrhunderte an die historische Person des Jesaja herangerückt.

Die spannende Frage war nun: Was brachte der Vergleich zwischen dem masoretischen Text und dem Text der 1000 Jahre älteren Qumran Rolle? 95% Übereinstimmung, die restlichen 5% sind fast ausschließlich unscheinbare Schreibfehler oder kleine Unterschiede in der Buchstabierung. Dieser und viele andere Funde bestätigen, dass das hebräische AT in außerordentlicher Textreue überliefert wurde.

  1. Das griechischen Neue Testament bzw. die griechische Bibel

Auch das ist ein spannendes Kapitel. Als sich nach der Reformation viele an die Arbeit machten, die Bibel in verschiedene Sprachen zu übersetzen, hatten sie weithin nur griechischen Texte als Grundlage, die etwa 1000 Jahre nach der Abfassung entstanden waren. Auch hier war die Frage: Standen sie mit diesen relativ “jungen” Texten auf einer sicheren Grundlage?

In den letzten 300 Jahren sind eine Reihe von Funden gemacht bzw. veröffentlicht worden, die zum Teil bis weit an die Zeit der Abfassung heranreichen. Es ist eine Fülle von Material, dass sich in verschiedene Gruppen sortieren lässt:

  1. Die alten Bibel-Papyri

Die meisten dieser alten Handschriften stammen aus dem trockenen Wüstensand Ägyptens. Dort haben viele empfindliche Papyrus-Fragmente die Jahrhunderte überdauert. Allen Papyri-Funden ist gemeinsam, dass sie nur einen begrenzten Umfang haben. Manchmal sind es nur Fetzen oder ein paar Blätter (mit Ausnahme der Chester Beatty Papyri). Ihr hohes Alter macht sie aber trotzdem außerordentlich wertvoll.

  • Chester Beatty Papyri (ca. 200 n.Chr)

1930 in Ägypten in der Nähe des Nils gefunden und zum großen Teil von dem amerikanischen Sammler Chester Beatty aufgekauft. Enthält Teile der Evangelien, fast alle Paulusbriefe, Teile der Offenbarung. Gilt als die wichtigste Entdeckung seit dem Codex Sinaiticus.

  • John Rylands Papyrus (ca. 130 n.Chr)

Gleicher Fundort, enthält Teile von Johannes 18,31-33.37.38 - also Teile von 4 Versen. Es ist das älteste Manuskript des NT und ist vielleicht 30 - 40 Jahre nach der Abfassung durch Johannes entstanden.


Die großen Unziale (Schriften in Großbuchstaben)

Zu dieser Kategorie gehören insgesamt 900 Schriften aus dem 4.-9. Jh. Die wichtigsten sind:

  • Codex Vaticanus (ca. 325 - 350 n.Chr)

Befindet sich schon “ewig” in der Vatikanischen Bibliothek, stand aber für Forschungszwecke lange Zeit nicht zur Verfügung. Konstantin von Tischendorf (6.1) wurde es 1866 erlaubt, den Codex 14 Tage lang je drei Stunden täglich den Text einzusehen, durfte aber nichts kopieren oder veröffentlichen.

Enthält fast die ganze Bibel und gilt als eine der wertvollsten Handschriften.

  • Codex Sinaiticus (ca. 350 n.Chr)

1844 von Tischendorf im Katharinenkloster am Sinai entdeckt (Siehe Anhang), enthält fast das ganze Neue Testament (es fehlen nur wenige Verse aus Markus 16 und Johannes 7+[[2]]) und die Hälfte des Alten Testamentes.

Befindet sich im Britischen Museum.

  • Codex Alexandrinus (ca. 400 n.Chr)

1627 bekam König Karl I. vom Patriarchen von Konstantinopel diesen Codex geschenkt. Veröffentlicht wurde er erst im 18. Jahrhundert. Er enthält fast das ganze Alte und Neue Testament und ist auf sehr dünner Kalbshaut geschrieben.

Befindet sich im Britischen Museum.

  • Codex Ephraemi (5. Jahrhundert)

Seit dem 16. Jahrhundert in Paris, war aber noch von niemand entziffert worden, weil es eine kaum lesbare Palimpsest - Handschrift war. Das heißt: Auf dem gleichen Schreibmaterial liegen zwei verschiedene Schriften übereinander. Die alte, schlecht abgekratzte Schrift ist der Text des Neuen Testaments, darüber liegt die spätere Abschrift eines Werkes des syrischen Kirchenvaters Ephraem.

Es war wieder Tischendorf, der sich an die Arbeit machte um mit Hilfe chemischer Mittel die Schrift wieder sichtbar zumachen, innerhalb von zwei Jahren entzifferte er den Codex Ephraemi komplett (1841).

Befindet sich in der Bibliothèque Nationale, Paris.

Von Bedeutung sind auch frühe Übersetzungen in andere Sprachen sowie die Fülle von Zitaten bei den Kirchenvätern. Beides soll hier aber nicht weiter behandelt werden.

Wie gut ist das Neue Testament überliefert?

“Es besteht nicht der geringste Zweifel darüber, dass 99% der Wörter des Neuen Testaments, wie wir es heute kennen, richtig überliefert sind, während wirklich wichtige Varianten nur 0,1% der Wörter ausmachen. Keine einzige fundamentale christliche Lehre basiert auf einer zweifelhaften Variante, und keine einzige neue Variante hat jemals zur Revision eines bestimmten Lehrinhaltes geführt”

So entstand die Bibel, CLV S.96


  Das Schreibmaterial

Stein

Stein ist das älteste aller Schreibmaterialien. Bes. aus Ägypten und Babylonien sind sehr alte Steinschriften erhalten; ebenfalls aus Palästina sind sie bekannt

  • Verfahren: Einmeißeln bzw. aufmalen
  • Vorteil: Haltbarkeit
  • Nachteil: Mühsame Beschriftung
  • Funde: Keine Bibeltexte

Ton

In Assyrien und Babylonien das vorherrschende Schreibmaterial. Es wurden in diesem Gebiet große Tontafelbibliotheken ausgegraben.

  • Verfahren: In den weichen Ton wurde die Schrift (sehr geeignet: Keilschrift) eingeritzt und dann getrocknet. Für dauerhafte Texte auch anschließendes Brennen. Als Schreibmaterial für das arme Volk haben sich Tonscherben lange erhalten, die mit einer Rußtinte beschrieben wurden. Man nennt sie Ostraka (Sing.: Ostrakon)
  • Vorteil:         Vorteile: Gegenüber Stein: Leichte Bearbeitung Haltbarkeit der (gebrannten) Tafeln.
  • Wert der Funde: Es gibt etwa 1700 Fundstücke mit Bibeltexten. Aufgrund des geringeren Textumfangs ist ihr Wert aber begrenzt

Leder, Pergament

Leder, also gegerbte Tierhäute waren das Schreibmaterial, auf das wahrscheinlich die alttestamentlichen Texte geschrieben wurden. Es gibt keine Stelle im AT, die das ausdrücklich erwähnt, aber der Talmud spricht sehr deutlich davon. 
 
Das ab dem 2. Jahrhundert vor Christus verwendete Pergament ist zwar auch aus Tierhäuten, unterscheidet sich aber vom Leder durch eine andere Herstellung.
  • Bearbeitung: Einweichen in Kalklösung, keine Gerbung, danach Schaben (Fleisch und Haare entfernen), dann Spannen und Trocknen Beide Seiten werden dann mit Steinen geschmeidig gerieben, bis ein dünnes, glattes, elastisches, fast durchscheinendes Leder entsteht
  • Vorteil: (gegenüber Stein/Ton): Leichter, höhere Informationsdichte, robust und haltbar, solange es trocken ist, bedingt wieder verwendbar, leicht beschreibbar
  • Nachteil: Relativ teuer, deshalb nur für wertvolle Schriften eingesetzt. Die wertvollen alten Handschriften sind auf gutes Pergament geschrieben. Im 1./2. Jhdt löst der Kodex allmählich die Rolle ab

Papyrus

Schon lange parallel zum Leder verwendet, wurde Papyrus in ntl. Zeit zum gebräuchlichsten und verbreitetesten Schreibmaterial.
  • Herstellung: Die Stängel der Papyruspflanze wurden geschält, das Mark in dünne Streifen geschnitten, über Kreuz gelegt und gepresst. Durch anschließendes Glätten, Schleifen wurde ein gut beschreibbares Papier erzeugt.
  • Bearbeitung: Zum Teil als Blatt, für längere Texte wurden die Blätter zu 25-30 cm hohen Rollen zusammengeklebt
  • Vorteil: Billig, leicht beschreibbar (mit Rohrfeder)
  • Nachteil: Mechanisch wenig beanspruchbar, nur gut geschützt haltbar.

Erklärung der Farben

im Bibeltext

Blau Handeln Gottes
Blau Rede Gottes
Rot Betrift mein Leben
Grün

Verheißung / Versprechen

Grün Verheißung / Versprechen
Braun wichtig
Beige wichtig
Türkis Jesus
Gelb Heiliger Geist