Die Klagelieder - Hoffnung inmitten von Verwüstung

John F. MacArthur

Erstaunlicherweise befindet sich der Vers „Groß ist deine Treue“ in den Klageliedern (Kla 3,23).
Manchmal möchte man einfach schreien. Es kann ein Siegesschrei sein, ein Aufschrei in einer Niederlage oder ein Stöhnen vor Schmerz, wie dem auch sei, es ist immer ein Ausdruck unserer Emotionen und kommt aus der Tiefe der Seele. Jeremia lebte sein Leben mit großer Leidenschaft. Er verhielt sich selten passiv und war oft verärgert. In keinem anderen alttestamentlichen Buch finden wir eine derart offenkundige Beschreibung von Kummer und Schmerz, wie in dem Buch, das eben deshalb den Titel Klagelieder trägt. Indem Jeremia uns einen Einblick in seinen Schmerz und sein Elend gewährt, lehrt er die Gläubigen richtig mit Leid umzugehen.

Autor und Abfassungszeit

Verfasst von Jeremia ca. 586 v. Chr.
Der Verfasser der Klagelieder wird im Buch nicht erwähnt, aber es gibt innere und historische Hinweise, Wortwahl und Schreibstil, dass es Jeremia war. Parallelstellen (Jer 7,29; 2. Chr 35,25) zeigen Jeremia und lassen erkennen, dass er eine Tendenz besaß, über die Ereignisse um ihn herum zu wehklagen. Als Augenzeuge verfasste er die Klagelieder und liefert uns einen Bericht über die schmachvolle Zerstörung Jerusalems. Wahrscheinlich sah Jeremia die Zerstörung der Mauern, Türme, Häuser sowie die des Palastes und Tempels; er hielt es fest, während das Geschehen noch schmerzlich frisch in seiner Erinnerung war.

Schlüsselpersonen

  • Jeremia - Prophet in Juda; betrauerte die Zerstörung Jerusalems (Kla 1,1 - 5,22).
  • Die Einwohner Jerusalems - von Gott wegen ihrer schweren Sünden gerichtete Menschen (Kla 1,1 - 5,22).

Hintergrund und Umfeld

Die prophetische Saat der Zerstörung Jerusalems wurde von Josua 800 Jahre zuvor gelegt (Jos 23,15.16). Jetzt hatte Jeremia über 40 Jahre lang das zukünftige Gericht vorausgesagt und wurde vom Volk für seine Gerichtsankündigungen verspottet. Als das Gericht über das ungläubige Volk hereinbrach, reagierte Jeremia noch immer mit großer Trauer und Mitleid für sein widerspenstiges Volk. Er freute sich keineswegs über das exakte Eintreffen seiner Prophezeiungen.
In dem Buch, das seinen Namen trägt, hatte Jeremia das Unglück, den Fall Jerusalems, vorausgesagt (Kla 1 - 29). In den Klageliedern konzentriert er sich mehr auf die Einzelheiten des bitteren Leids und der großen Trauer, die über Jerusalems Verwüstung empfunden wurde. Jerusalems Zerstörung war so bedeutsam, nicht nur für Israel, sondern auch im Bezug auf die ganze Weltsituation, dass die Tatsachen in 4 verschiedenen alttestamentlichen Kapiteln berichtet werden: 2. Könige 25; Jeremia 39,1-11; 52; und 2. Chronik 36,11-21.

Schlüssellehren

  • Gott richtet Juda wegen seiner Sünde (Kla 1,5.8.18.20; 3,42; 4,6.13.22; 5,16; 5. Mo 28,43; Neh 9,26; Ps 137,7; Jer 14,20; 30,14; 52,28; Hes 16,37; Dan 9,5.7.16; Hos 2,12; Zef 3,4; Mt 23,31)
  • Gottes Barmherzigkeit lässt Hoffnung aufkommen (Kla 3,22-24.31-33; Ps 30,4-6; Jes 35,1-10; Jer 30,1-31,40; Hes 37,1-28; Hos 3,5; 14,2-10; Joel 4,18-21; Am 9,11-15; Mi 7,14-20; Zef 3,14-20; Sach 14,1-11; Mal 3,19-24)

Gottes Wesen

  • Gott ist treu (Kla 3,22-25; 5,19-22)
  • Gott ist gut (Kla 3,25)
  • Gott ist barmherzig (Kla 3,22-23.32)
  • Gott ist zornig (Kla 1,5.12.15.18; 2,1.17.20-22; 3,37-39)

Christus

Jeremia vergoss viele Tränen, weil er das Volk Israel von Herzen liebte (Kla 3,48-49). Auch Christus weinte über die Stadt Jerusalem: „Jerusalem, Jerusalem, die du die Propheten tötest und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken unter die Flügel sammelt, aber ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch verwüstet gelassen werden; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen, bis ihr sprechen werdet: Gesegnet sei der, welcher kommt im Namen des Herrn“ (Mt 23,37-39; Lk 19,41-44). Während Christus alle, die gegen ihn rebellieren, bestrafen muss, empfindet er doch gleichzeitig großen Schmerz über den Verlust seines geliebten Volkes.

Schlüsselworte

Weinen: Hebräisch bakah (Kla 1,2.16) - beschreibt den Akt des Heulens. Es handelt sich um einen Ausdruck von Emotionen, die das ganze Spektrum von Trauer bis hin zu Freude abdecken können. Oft wird das Wort im Zusammenhang mit Klagen benutzt, ein „bitteres Heulen“ altertümlicher Leute, die ihre Toten betrauerten (2. Sam 1,12); es kann aber auch Freude bedeuten (1. Mo 29,11). In der Antike wurde „geweint“, wenn jemand Abschied nahm (Rt 1,9), schwere Gerichte bevorstanden (Jer 8,23), vor Freude über die Wiederherstellung des Tempels (Esr 3,12) und bei der Bestattung einzelner Personen (1. Mo 50,1). In den Klageliedern weint Jeremia über die Sünden seines Volkes. Bald würden sie dazu führen, dass Jerusalem zerstört wird (Kla 1,1.16).
Erneuern: Hebräisch chadash (Kla 5,21) - kann „erneuern“ (Ps 51,12) oder „wiederherstellen“ (Jes 61,4) bedeuten. Als Adjektiv unterscheidet es etwas Neues von etwas Altem (z.B. die „alte Ernte“ im Vergleich zur „neuen Ernte“ [3Mo 26,10]), oder etwas Anderes, Andersartiges, wenn es sich auf den Status Quo bezieht (z.B. „ein neuer Geist“, Hes 11,19; 18,31). Die Bibel lehrt, dass nur Gott Neues schaffen kann, sei es ein neues Lied im Herzen der Treuen (Ps 40,4), eine neue Phase in seinem Erlösungsplan (Jes 42,9; 43,19), einen neuen Namen (Jes 62,2) oder einen neuen Himmel und eine neue Erde (Jes 65,17).

8. Gliederung

Erste Klage: Jerusalems Verwüstung (Kla 1,1-22)

  • Jeremias Trauer (Kla 1,1-11)
  • Jerusalems Trauer (Kla 1,12-22)

Zweite Klage: Gottes Zorn (Kla 2,1-22)

  • Die Perspektive des Herrn (Kla 2,1-10)
  • Die menschliche Perspektive (Kla 2,11-19)
  • Jeremias Gebet (Kla 2,20-22)

Dritte Klage: Jeremias großer Schmerz (Kla 3,1-66)

  • Seine Not (Kla 3,1-20)
  • Seine Hoffnung (Kla 3,21-38)
  • Sein Rat/Gebet (Kla 3,39-66)

Vierte Klage: Ausführlicher Blick auf Gottes Zorn (Kla 4,1-22)

  • Über Jerusalem (Kla 4,1-20)
  • Über Edom (Kla 4,21-22)

Fünfte Klage: Das Gebet des Überrestes (Kla 5,1-22)

  • Damit der Herr sich an sie erinnert (Kla 5,1-18)
  • Damit der Herr sie wiederherstellt (Kla 5,19-22)

Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort auf der Erde …

Pythagoras, der berühmte Mathematiker stellt den „Satz des Pythagoras“ auf (geb. 581 v. Chr.).

Häufig auftauchende Fragen

1. Wo kann man in den Klageliedern die Verheißung auf Christus finden?

Im Alten Testament treffen wir immer wieder auf Vorschattungen Jesu, wobei Jeremia eindeutig zu den Klarsten zu zählen ist. Jeremias Tränen über Jerusalem (Kla 3,48-49) finden ihr Pendant in Jesus, der über dieselbe Stadt weinte (Mt 23,37-39; Lk 19,41-44). Jeremias Kummer hilft Gläubigen, in Gott den gerechten Richter zu erkennen, der bestrafen, und gleichzeitig tiefe Trauer für die Leiden seines Volkes empfinden kann. Jesaja beschreibt diesen Umstand folgendermaßen: „Bei all ihrer Bedrängnis, war auch er [Gott] bedrängt“ (Jes 63,9). Jeremias Tränen erinnern uns auch an die absolute Hoffnungslosigkeit, die alle erfahren, die Gott nicht kennen. Tränen erinnern uns auch an Gottes Zusage, jeden Anlass zu Tränen, und zu guter letzt sogar die Tränen selbst wegzunehmen (Jes 25,8; Offb 7,17; 21,4); dann wird die Sünde nicht mehr sein.

2. Welche Absicht verfolgt Gott, indem er die Klagelieder zu einem Teil der Bibel macht?

Die Klagelieder beinhalten eine Warnung für jeden Leser. Jeremias Worte vermitteln uns einen Blick hinter die Kulissen und wir sehen die wahren Konsequenzen der Sünde. Das Leid und die Trauer, die mit dem Gericht einhergehen, sollen eine abschreckende Wirkung erzeugen. Wenn Gott schon nicht davor zurückschreckte, sein eigenes geliebtes Volk zu bestrafen (5. Mo 32,10), wie wird er wohl mit den Nationen dieser Welt, die sein Wort abgelehnt haben, verfahren?

3. Jeremia rief ein hartes Gericht über die Feinde Judas aus (1,21-22; 3,64-66) und berichtet, wie Gott seine Gebete zurückwies (3,8). Was können wir daraus lernen?

Die Gebete der Propheten und Psalmisten klingen für unsere Ohren oft etwas streng und schroff. Ihre kühne Ausdrucksweise erinnert uns daran, dass es eigentlich ganz gut ist, dass Gott nicht all unsere Gebete eins zu eins beantwortet. Wir dürfen zwar unseren Gefühlen und Wünschen Ausdruck verleihen, wenn wir beten, aber es wäre töricht von uns, anzunehmen, dass Gott sich durch unsere beschränkte Sicht der Dinge in die Ecke drängen ließe. Jeremias Schrei nach Vergeltung wurde durch den Fall Babylons teilweise Rechnung getragen (Jes 46 - 47; Jer 50 - 51; Dan 5). Gott wird Gerechtigkeit üben - zu seiner Zeit. Am großen weißen Thron werden alle offenen Rechnungen ein für alle Mal beglichen (Offb 20,11-15).
Jeremias Beschreibung seines Gebetslebens widerspiegelt eher seine Gefühle, als das es uns ein Bild über Gottes effektives Handeln liefert. Gottes negative Antwort auf Jeremias Gebete ist nicht auf persönliche Sünde zurückzuführen, sondern Israels unbußfertiges Verhalten und fortwährende Sünde ließ keine andere Antwort zu. Jeremia war sich dessen bewusst. Nichtsdestotrotz betete er, weinte er und sehnte sich danach, dass sein Volk Buße tun würde.

Kurzstudium / einige Fragen

  • Vergleiche Klagelieder mit dem Buch Jeremia. Welche Gegensätze bzw. Übereinstimmungen stellst du fest?
  • Wie passt Klagelieder 3,22-32 zum Rest des Buches Klagelieder?
  • Welche starken Gefühle bringt Jeremia in Klagelieder zum Ausdruck?

Impressum

1. Auflage 2003
© 2001 by John MacArthur
Originaltitel: The MacArthur Quick Reference Guide To The Bible
Nelson / Word Publishing Group, Nashville
© der deutschen Ausgabe 2003
by CLV • Christliche Literatur-Verbreitung
Postfach 11 01 35 • 33661 Bielefeld
Internet: www.clv.de 
Übersetzung: Martin Manten, Berlin
Lektorat: Claudia Kreutzer und Gabi Manten
Satz: CLV
Umschlag: Dieter Otten, Gummersbach
Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm
ISBN: 3-89397-644-2
· Klagelieder nimmt eine einzigartige Position ein in der Schrift. Welche?
· Wie könnte dir Klagelieder in Zeiten des Leides und Schmerzes helfen?

Erklärung der Farben

im Bibeltext

Blau Handeln Gottes
Blau Rede Gottes
Rot Betrift mein Leben
Grün

Verheißung / Versprechen

Grün Verheißung / Versprechen
Braun wichtig
Beige wichtig
Türkis Jesus
Gelb Heiliger Geist